Der verzweifelte Hilferuf

Wie tief ist das deutsche Gesundheitssystem in einer Krise versunken, und wieso wird die neue Reform (vermutlich) nicht viel verändern?

  „Alarmstufe Rot“ war der Titel einer bundesweiten Aktion, die vom medizinischen Personal am Dienstag, 20. Juni, durchgeführt wurde. In unzähligen Kliniken und Krankenhäusern in ganz Deutschland hingen Transparente mit dem Titelspruch. Ärzte und Krankenschwestern baten die Bundes-, sowie auch die einzelnen Landesregierungen um finanzielle Unterstützung. Worum ging es aber eigentlich?

  Abteilungen, die brechend voll mit Patienten sind. Kliniken, die wegen des Fachkräftemangels schließen müssen.  Solche Szenen kann man im städtischen Krankenhaus in Kiel beobachten. Damit stellt die Hauptstadt von Schleswig-Holstein leider keine Ausnahme dar. Die Lage der manchen Einrichtungen ist so schwierig, dass die Tatsache schon sogar Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der für seine oftmals absurden Aussagen berühmt ist, nicht abstreitet. Wie es um das deutsche Gesundheitswesen bestellt ist, lässt sich am besten an einem der jüngsten Artikel auf der Website des Bundesministeriums ablesen: „Durch das neue System (…) erhalten die Krankenhäuser die Chance, zu überleben“, steht in einer der neuesten Meldungen geschrieben.

  Fangen wir aber am Anfang an. Wenn ich in diesem Artikel alle Probleme des deutschen Gesundheitssystems aufzählen wollte, würde der Platz wahrscheinlich nicht ausreichen, aber die Finanzierung ist zweifellos das gravierendste Problem. Obwohl die Ursachen bereits in den Grundlagen des Systems und den so genannten Fallpauschalen zu suchen sind, ist das ganze Problem viel komplexer. Die Preise stiegen während der Pandemie und des Krieges stark an. Die Altersstruktur der Bevölkerung hilft auch nicht – jede zweite Person in Deutschland ist heute älter als 45 und jede fünfte hat mehr als 66 Jahre. Die Folgen davon sind, dass immer mehr Personen ärztliche Hilfe brauchen und immer weniger Menschen dafür aufkommen können. Der Marktanteil des Staates bleibt auch nicht bedeutungslos – beinahe 90 % aller Versicherten machten es gesetzlich. Die restriktiven Bedingungen der privaten Krankenversicherung bieten eine Art Exklusivität – nur die Wohlhabendsten können sie sich leisten. Der Mangel an Investitionen fällt auch als einer der Hauptgründen der tragischen Situation der Pflegeversorgung aus.

  „Das Gesamtdefizit der Kliniken in Schleswig-Holstein wächst stündlich um 32.000 Euro”, sagt Patrick Reimund von der Krankenhausgesellschaft dem NDR. „Jede Stunde kommt ein Fehlbetrag von 70.776 Euro bei den Kliniken im Land hinzu“, berichtet die Sprecherin der Baden-Württembergischer Krankenhausgesellschaft beim SWR. Diese Deklarationen lauten nicht mehr so absurd, wenn man „Krankenhaus Rating Report 2023“ liest, laut dem 29 % aller Krankenhäuser in Baden-Württemberg akut von einer Insolvenz bedroht sind.

  Nach den Versprechungen der neuen Krankenhausreform sollten alle diese Probleme wie von Zauberhand gelöst werden. Prof. Lauterbach bietet u.a. „Vorhaltepauschalen” an, mit denen die notwendigen Einrichtungen eine Art Existenzgarantie erhalten würden. Wie allerdings entschieden wäre, welche Einrichtungen die wichtigsten sind, bleibt unklar. Auch mehr Transparenz wird erwähnt. Patienten sollen in der Zukunft wissen, welches Krankenhaus, welche Leistungen, mit welcher Qualität anbietet. Am 10. Juli einigten sich Bund und Länder auf einige Schlüsselpunkte, die als Grundlage für einen Gesetzentwurf dienen werden. Leider sind Ärzte eher skeptisch. „Abgesehen davon, dass die Reform keine zusätzlichen Mittel vorsieht und daher unklar ist, ob sie überhaupt zu einer finanziellen Entlastung führen wird, kommt sie einfach viel zu spät”, teilt Michael Decker, der Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Diakoniekrankenhauses in Freiburg mit. Und auch wenn dies eine erhebliche Entlastung der Krankenhausbudgets bedeuten würde, so würden sie doch mit ihren Schulden allein dastehen. Man kann nur hoffen, dass die Regierenden in Berlin die Situation aus einer umfassenderen Perspektive betrachten.

 

Tekst: Nikolaus Kurowski

Fot: www.modernhealthcare.com