Kurz nach der insbesondere für die deutsche Minderheit richtungsweisenden Wahl fand am ersten Novemberwochenende das politische Seminar des BJO (Bund Junges Ostpreußen) zu den deutsch-polnischen Beziehungen in Münster statt. Hochrangige Redner aus Politik, Wissenschaft und den Reihen der deutschen Minderheit halfen uns, diesen Bereich der Diplomatie und die polnische Innenpolitik besser zu verstehen.
Der Samstag begann mit einem Vortrag des ehemaligen deutschen Botschafters in Polen Rolf Nikel, der auf Grundlage seines gleichnamigen Buchs über „Feinde, Fremde, Freunde – Polen und die Deutschen sprach“. Neben einer Analyse der Wahlfolgen äußerte er auch großes Bedauern über die deutsche Russlandpolitik der letzten Jahre, die sich angesichts des Kriegs als naiv erwiesen hat. Zudem bilanzierte er, dass trotz der machtpolitischen Asymmetrie zwischen Deutschland und Polen der Einfluss Polens in Europa gewachsen ist.
Danach referierte Professor Dieter Bingen über die deutsch-polnischen Beziehungen seit 1990: Während zunächst noch Deutschland eine Scharnierfunktion innehatte und als Wegbegleiter Polens und anderer osteuropäischer Staaten in die EU agierte, habe nach dem EU-Beitritt Polens 2004 weitestgehend strategische Ratlosigkeit geherrscht. „Realpolitik ohne Visionen war Gift für die Nachbarschaft“, lautete sein Urteil über diese Zeit. Ähnlich wie Botschafter a.D. Nikel ließ auch Prof. Bingen immer wieder durchklingen, welches Unsicherheitsbewusstsein die Russlandpolitik in Polen verursacht hatte. Über die Forderungen nach Reparationszahlungen, die verschiedene polnische Regierungen gestellt hatten, äußerte er, dass jenseits aller Entschädigungszahlungen im polnischen historischen Bewusstsein noch etwas sei, das nicht mit Geld behoben werden könne.
Als letzter Redner des ersten Tages berichtete Michał Schlueter als Vertreter der deutschen Minderheit in Polen über die Entwicklungen der Minderheitsorganisationen in der alten Heimat. Die Statistiken der Volkszählung seien nicht eindeutig interpretierbar, sodass eine genaue Abschätzung, wie viele Deutsche in Polen leben, schwierig sei. Die Wahl wurde „gewonnen und verloren gleichzeitig“: Zwar wurde die PiS abgestraft, sodass Hoffnung besteht, dass der muttersprachliche Deutschunterricht wieder dauerhaft und nachhaltig auf sein altes Pensum von drei Wochenstunden erhöht werden kann, doch verpasste auch der Kandidat der deutschen Minderheit das nötige Quorum, um in den Sejm einzuziehen, da die Polarisierung zwischen KO und PiS Stimmen kostete.
Schon am Samstag wurde die Frage nach der Situation der Jugend immer wieder angeschnitten und am Sonntag widmete sich der Rest des Seminars dieses Themas. Eingangs hielt Dr. Eva Feldmann-Wojtachnia von der LMU München einen Vortrag über die Gefühlslage der Jugend in Deutschland und Polen über persönliche Zukunftsperspektiven, Bewertung des Bildungssystems und Zufriedenheit mit der Politik. Gerade die Politisierung der jungen Polinnen durch die Debatten um strengere Abtreibungseinschränkungen habe diese Gruppe an Wählerinnen bei der letzten Wahl für die Opposition mobilisiert und einen entscheidenden Beitrag zum schlechten Abschneiden der regierenden PiS geleistet. Insgesamt hat sich bei der Wahl gezeigt, dass die Parteien Lewica (Neue Linke) und KON (Konfederacja bzw. Konförderation) besonders stark unter der jungen Wählergruppe abgeschnitten haben, die allerdings eher die politischen Ränder links und rechts des polnischen Parteienspektrums darstellen.
Nach diesem Vortrag wurde bei einer Podiumsdiskussion über die Situation der Jugend intensiv debattiert, woran sich neben Frau Feldmann-Wojtachnia auch Weronika Koston vom BJDM, Peter Harder aus dem BdV NRW und BJO sowie Dr. Alexander Baunkecht von der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit beteiligte. Nach kurzen Vorstellungen und Eingangsstandpunkten der Diskussionsteilnehmer entwickelte sich ein interessantes Gespräch, das auch durch einige Fragen aus dem Publikum bereichert wurde. Betont wurde, dass die deutsche Minderheit außerhalb Schlesiens und insbesondere in Ostpreußen gestärkt werden müsse. Die deutsche Minderheit dort habe das Problem, keine eigenen Eliten hervorgebracht zu haben, die Sammlungsorganisationen anführen und mit einer Vision steuern können. Wer gut Deutsch spricht und gebildet ist, würde laut Dr. Bauknecht schnell von deutschen Unternehmen abgeworben werden und die Region verlassen. Auch wurde der Blick auf die deutsche Minderheit außerhalb Polens gerichtet und die verschiedene Förderung oder Diskriminierung des deutschsprachigen Unterrichts in z.B. Ungarn und Frankreich erörtert. Insgesamt wurde bilanziert, dass die deutsche Minderheit in Polen sich durchaus von der deutschen Bundespolitik ernst genommen und unterstützt fühlt. Die große Unsicherheit, die die letzte Parlamentswahl mit sich bringt, wird hoffentlich durch eine Entspannung der Konflikte abgelöst werden.
Die Veranstaltung war für den BJO ein großer Erfolg und lieferte den Teilnehmern einen umfassenden Eindruck zur zwischenstaatlichen als auch inneren Deutsch-Polnischen Politik. Aufnahmen von einigen Vorträge werden vom Ostpreußischen Rundfunk im Internet hochgeladen.
Artikel von den Jungen Ostpreussen